Kehren oder Nichtkehren, das ist hier die Frage

Stadtratsfraktion AfD/FW bringt altes Ärgernis in den Stadtrat Kurt 2Hartmut 2

In dem seit Jahren in Teilen von Mainz schwelenden Kehrstreit mit Schwerpunkten auf dem Lerchenberg und dem Großberg ist die Stadt gefordert, eine Lösung zu finden, nachdem es das Land endgültig abgeleht hat, per Novellierung des Landesstraßengesetzes Vorgaben zu liefern. Die Sache liegt jetzt dem Stadtrat zur Sitzung am 16.12.2014 vor und wartet auf ein Weihnachtswunder. Der Lerchenberger „Graswurzelarbeiter“ Hartmut Rencker, der sich für die Freien Wähler engagiert, beanstandet, die stadtweite Differenzierung in kehrpflichtige und kehrfreie Bereiche liege außerhalb jeder Rationalität.

Unstriitig ist, dass die Innenstadt oder die Neustadt mit Geschossbauten der öffentlichen Versorgung bedürfen. Merkwürdig ist aber, dass noblere Viertel praktisch alle kehrfrei sind, während ähnlich ruhige, allerdings weniger elitäre Wohnquartiere zwangsbekehrt werden, ohne dass eine objektive Notwendigkeit erkennbar ist. Und weshalb wird z.B. der Lerchenberg nur teilweise bekehrt, Drais oder Marienborn aber gar nicht? Am Reinigungsbedarf liegt es bestimmt nicht. Ein wenig drängt sich der Eindruck auf, dass da gekehrt wird, wo das Kehrauto bequem Patrouille fahren kann und sich die Anlieger das bieten lassen. In manchen Anliegerstraßen fährt das Kehrauto regelmäßig an geparkten Autos vorbei, letztlich ohne zu kehren.

Was Formalien anrichten können, zeigt sich vor allem im Lerchenberger Kehrgebührenchaos. Zunächst wird getrennt in kehrpflichtige Straßen und kehrfreie „Rote Wege“. Bei den Straßen muss man noch unterscheiden zwischen sehr verkehrsschwachen Anliegerstraßen und den von Bussen befahrenen Durchgangsstrecken. Nirgendwo gibt es auffällige Verschmutzungen, wenn man vom Herbstlaub Winter-Streugranulat absieht. Weshalb also eine Zweiklassengesellschaft? Wer das Pech hat, mit seinem langen Reihenhausgrundstück straßenparallel zu liegen, wird schnell bis zu 500 Euro im Jahr los, andere bezahlen gar nichts, obwohl auch diese die kehrpflichtige Straße in Anspruch nehmen und dort nicht nur ihre Autos sondern oft auch Schuttcontainer den Gebührenzahlern vor die Nase stellen.

Nicht nur die „Vorderlieger“ sind Verlierer, sondern die Stadt hat sich ungewollt ein Eigentor geschossen. Der für seine zähe Unbequemlichkeit bekannte Juristenschreck Rencker hat es durchgesetzt, dass stadtweit viele Garageneinheiten nachträglich für kehrfrei erklärt wurden, soweit diese mit ihren Rückseiten zur Straße stehen. Hier kehrt die Stadt sogar gebührenfrei und musste hunderten falsch herangezogenen Garageneigentümern Gebühren rückwirkend erstatten. Alle anderen Garagenanordnungen fallen unter die Gebührenpflicht. Es kommt darauf an, ob eine Garage vorwärts, rückwärts, längs oder quer steht. Formalismus pur.

Den Gipfel der Bürgerferne leistet sich die Stadt, indem sie die Notwendigkeit des (partiellen) Kehrens damit zu rechtfertigen versucht, dass für Sonderereignisse wie Fastnacht oder Johannistag eine große Reinigungseinheit vorgehalten und finanziert werden muss. Weshalb die Nutznießer der Veranstaltungen oder Draiser oder Marienborner oder große Teile von Lerchenberg, Bretzenheim und Gonsenheim usw. von dieser „Solidarleistung“ verschont bleiben, bedarf wohl höherer Einsicht.

Mit Formalakrobatik lässt sich nichts mehr lösen. Der gordische Knoten muss durch Neufassung der Kehrsatzung durchschlagen werden. Möglichkeiten der Modifizierung gibt es viele, wie etwa die Umstellung von lfd. Metern auf Grundstücksgröße oder auch eine reduzierte Reinigungshäufigkeit, wie dies andernorts praktiziert wird.

Die Irrationalität von Kehrsatzung und Formaljustiz hat schon 2008 in einem Streitverfahren vor dem Verwaltungsgericht der Vorsitzende Richter Wanwitz angesprochen. Die beiden Prozessvertreter der Stadt stimmten dem zu und sahen politischen Handlungsbedarf. Auch die für die Straßenreinigung zuständige Umweltdezernentin erkennt die unbefriedigende Situation an. Leider sind alle bisherigen Initiativen in Ortsbeiräten, Stadtrat und in den städtischen Ämtern versandet. Denn eine Änderung der Kehrsatzung könnte womöglich bisher Privilegierte treffen, kritisiert der für die Freien Wähler neu in den Stadtrat gewählte Verwaltungsfachmann Kurt Mehler.

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